Anna Tekampe




 

PUBLICATION - META MAGAZINE - HfG Karlsruhe
interview and text






           









body traces
(clay and fabric) size variabel 2016



Zwischen Sprechen und Schweigen – das Unsagbare kartographieren


Die Sprache

Die Sprache ist das Haus des Seins, schrieb Martin Heidegger 1947, vor mittlerweile über sechzig Jahren, in seinem „Brief über den Humanismus“. Wenn man sich heutzutage die Bücher auf den Bestseller Listen ansieht, scheint dieses Haus nicht im besten, möglicherweise gar in einem nahezu unbewohnbaren Zustand zu sein. Es ist tatsächlich eine Seltenheit, dass sprachlich komplexe oder gar „schwierige“ Texte überhaupt von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen oder gar verstanden werden. Was heißt es aber einen Text zu verstehen? Ist damit die Form, der Inhalt oder die Sprache gemeint? Nähern wir uns mit kleinen Schritten an: Ein Text der ein wissenschaftliches Problem behandelt, lässt sich oftmals nur verstehen, wenn ein gewisses Vorwissen beim Leser vorhanden ist. Doch dann ist es ein leichtes den Text nachzuvollziehen, denn es geht um das Protokollieren eines Sachverhalts, um ein Referat des Forschungsstandes. Sprachliche Arabesken lenken eher vom Stoff ab. Den Inhalt zu verstehen ist also in diesem Falle kein zu großes Problem. Besinnen wir uns auf einen lyrischen Text ist die Lage eine andere. Wir können Form und Sprache sogleich identifizieren, aber der Inhalt bleibt uns oft auf den ersten Blick verschlossen. Es scheint eine weitere Anstrengung,

eine Anstrengung zur Durchlässigkeit nötig zu sein, zu der nicht jeder bereit ist.

Lyrik oder Kurzprosa werden von den meisten großen Verlagshäusern, daher wohl auch entweder gar nicht erst oder nur in sehr geringer Auflage verlegt. Man geht wohl davon aus, dass es kein Publikum für Sprache in dieser Form gibt und, dass es sich daher kaum lohnt. Die populären Formen der Narration, die wir bei literarischen Texten finden, bewegen sich zwischen dem klassischen Roman, einigen wenigen Kurzgeschichtsbänden und natürlich dem Kriminalroman. Der Kriminalroman, dem eine griffige und gut verständliche Sprache seit jeher gut tut, dominiert dabei den Markt. Eine Lyrikabteilung sucht man, selbst in gut sortieren Buchhandlungen, meist vergebens. Dies ist so, als würde man entscheiden, in einem Platten Laden keine gesonderte Abteilung für Jazz einzurichten. Stattdessen würde man Jazzplatten gar nicht erst anzubieten oder sie einfach zwischen die Heavy Metal Platten und die Schlagerplatten stellen. Es scheint vielfach vergessen zu werden, dass der Roman ein Medium ist, das es erst seit dem 18. Jahrhundert in dieser Form gibt und, dass es eine Vielzahl anderer Formen des sprachlichen Ausdrucks gibt. Diese anderen Formen des Ausdrucks müssen nicht immer „schwierig“ oder gar unverständlich sein. Aber warum wird ein Text überhaupt als schwer verständlich bezeichnet? An der eben erwähnten Entwicklung kann man zunächst ablesen, dass als schwierig wohl meist das bezeichnet wird, das aus der Alltagssprache ausbricht. Ein schwieriger Text ist meist ein nicht dramaturgisch getakteter Text – ein Text der ausschert, ein Text der sich Raum nimmt, wo man es nicht erwartet. Aber schert nicht vielmehr die Komplexität unserer Welt aus – die Undurchschaubarkeit des Seins und die Gefühlswelt des Menschen!? Diese Undurchschaubarkeit des Seins oder dieses Unsagbare, wie Ingeborg Bachmann es nannte, sucht mancher Autor zu beschreiben und kann nicht anders, als komplexe Wort und Satzkonstruktionen zu erfinden, die selten bei einer strukturierten Narration und bei bekannter Erzähllogik bleiben. Dies wird dann im Zweifelsfalle als schwierig kategorisiert. So auch beispielsweise der Nouveau Roman in den 50er - 70er Jahren in Frankreich. Die Vertreter des Nouveau Roman versuchten mit einem durchdringenden und zugleich dekonstruktivistisch anmutenden Stil die traditionellen Erzählkategorien von Raum, Zeit, Kausalität und Subjekt aufzuheben. Autoren, wie Alain Robbe-Grillet oder Nathalie Sarraute versuchten sich so vom klassischen Roman in der Tradition von Honoré de Balzac und Gustave Flaubert abzusetzen. Ihre Vorbilder waren unter anderem André Gide, Marcel Proust, Franz Kafka, William Faulkner und James Joyce. Das Beschreiben kleinster Details und der damit verbundene Wunsch mit der Sprache die Zeit einzufangen, wie es bei Marcel Proust oder James Joyce der Fall ist, darin ist der dringende Wusch nach Sprechen und Schreiben um jeden Preis, zu erkennen. Nun, der Stil des Nouveau Roman hat sich bekanntlich nicht durchgesetzt und ist in ähnlicher Form nur noch in Randgebieten der Literatur zu finden. Die von Flaubert und Balzac entworfene Form des narrativen Romans hat sich durchgesetzt. Die Mehrheit scheint den linearen Stil zu lieben. Warum, fragt man sich, wenn die Welt sich doch so kaleidoskopartig und komplex darstellt. Und warum wird eine Überschreitung der narrativen Grenzen immer als “schwierig” angesehen.

Ist es nicht vielmehr eine Annährung an die Wahrheit des Seins, ein zaghafter Versuch das Haus des Seins zu renovieren und es wieder bewohnbar zu machen.

Denn was zunächst als „schwierig“ erscheint, kann nach zweimaligem Lesen schon unsere Seele umfassen und uns ansprechen. Hier können wir in einem seltenen Fall von Seele sprechen. Denn die Lyrik oder die schwierigen, nicht über den ersten Weg des rationalen Verständnisses zugänglichen Worte, scheinen von der Seele verdaut zu werden.

Von unseren Augen geschluckt werden die Worte, im Herz vorgekaut und dann in der Seele für immer eingelagert.

Dies kann Jahre und Jahrzehnte dauern und manches wird nie zersetzt werden, sondern es liegt uns noch immer auf und in der Seele – unverdaut und eingelagert. Und dieses kleine Stechen in der Seele erinnert und an die offenen Fragen, von denen wir uns abwenden, wenn wir nicht regelmäßig daran erinnert werden. Die Fragen und Zweifel von denen wir nichts wissen wollen, die aber nichts an Fragwürdigkeit verlieren, wenn wir sie niemals in uns einlassen. Im Gegenteil sie werden nur noch fragwürdiger. Wenn des Fragens Würde endlich zu uns durchgedrungen ist, können Worte helfen und trösten und das ist das Mysterium des geschriebenen Wortes – sie können die Unendlichkeit berühren, wie es das gesprochene Wort selten kann. Und es muss nicht die Vorstellung von Unendlichkeit sein, die uns erschauern lässt, sondern die, die uns eine Heimat bieten kann. Worte können Heimat bieten. Und manchmal geht es auch gar nicht darum einen Text vollständig zu verstehen. Verstehen scheint mir ohnehin ein schlechtes Wort für diesen Vorgang zu sein, denn

es geht dabei weniger um eine kognitive Leistung als um eine Verlängerung unserer Sinne.

Manchmal kann es auch schon tröstlich sein, einen Text nur einzusaugen und dann ihn in sich entfalten zu lassen und ihn gar nicht rational verstehen zu wollen. Mit dem Denken der Aufklärung im Gepäck ist es allerdings schwer sich darauf einzulassen. Doch Poesie ist ein notwendiges Kraftfutter für die Seele, nicht jeder ist jedoch in der Lage diese auch wirklich zu schmecken. So wie man manchen Wein erst zu schätzen lernt, wenn man viele probiert hat und die feinen Unterschiede zu erkennen vermag. So wie offenbar schon Hamann im 18.Jahrhundert an seinen Mitmenschen kritisierte: „Blindheit und Trägheit des Herzens ist die Seuche, an welcher die meisten Leser schmachten.“ Heute scheint es nicht anders zu sein. Doch es ist immer wert an die verschütteten Dimensionen eines Textes zu erinnern, um zu versuchen das Unsagbare zu berühren - es zu “kartographieren”, wie Gilles Deleuze und Felix Guattari es nannten. Dabei bezogen sie sich wohl vornehmlich auf das philosophische Schreiben, aber ich meine es gilt für alle Formen des Schreibens. Ob es nun das Kartographieren der Gefühle oder das Sammeln und Vermessen von vergessenen Daten und Ereignissen ist. Die Entscheidung und die Geste liegt immer zwischen Schweigen und Sprechen und in dem Versuch das Unsagbare zu kartographieren.


Das Schweigen

Wittgenstein, der bekannteste Sprachphilosoph des vorigen Jahrhunderts versuchte bekanntlich in seinen jahrelangen Studien die Sprache zu verstehen und zu erklären. Schließlich veröffentlichte er den Tractatus Philosophicus. Nicht viele haben das Werk gelesen, doch der letzte Satz hat solch große Unruhe gestiftet, dass man sich noch immer lebhaft daran erinnert: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“

Schweigen. Eine zunächst unmögliche Lösung, ob der dringenden Fragen und ungeklärten Dinge in der Wissenschaft, in der Literatur, auf der Welt. Eine edle Lösung jedoch in Hinblick auf die Wahrheit.

Heutzutage auch eine edle Lösung angesichts der endlosen Versuche und Aufmerksamkeitsökonomien der Schriftsteller, die wir heute beobachten können. Jeder meint ein Buch publizieren zu müssen und seine Memoiren und Kindheitstraumata der Welt anbieten zu dürfen. Ein dauerhaftes Rauschen, gar ein Lärmen umhüllt uns zu jeder Zeit. Nicht nur das Auge, auch das Ohr wird dauerhaft gefordert. Das Innere verkommt in diesem Lärm und die inneren Stimmen verkommen im Schweigen. Ein Text, der anspricht und das innere Schweigen zu stören vermag und es zum Sprechen zu bringt, ist eine Seltenheit. Dies erkannte auch Wittgenstein und erfand das Sprachspiel um der rationalen Sprachforschung zu entkommen.

Denn wo die Sprachphilosophie scheitert, macht die Poesie, macht die Lyrik weiter.

Auch Heidegger besann sich gegen Ende seines Lebens auf die Dichtkunst, besonders Hölderlins Schriften hatten es ihm angetan. Die Hymnen des schwäbischen Dichters schienen ihm das Sein und dessen Fragen am besten darzustellen. Er meinte gar in der Kunst, eben namentlich in der Dichtkunst, die eigentliche Wahrheit des Seins zu sehen. Sprache hat für Heidegger einen absoluten und originären Seinsbezug. Auch die Dichterin Ingeborg Bachmann spricht vom Unsagbaren. Bachmann meint aber wir besäßen die Sprache nicht,

nur als Fragment in der Dichtung, in einer Zeile, in einem Satz könne man das Unsagbare erahnen.

So ist es die Aufgabe der Lyrik, der Poesie und der vermeintlich schwierigen Texte im Allgemeinen die magische Ratlosigkeit, das Schweigen im Inneren aufzuschrecken und zum Sprechen zu bringen.


Das Unsagbare kartographieren

Die Veränderungen unserer Welt fordern neue Formen des Kartographierens, neue Formen des sprachlichen Ausdrucks. Die strukturierte dramaturgische Form des Anfangs, der Mitte und des Endes scheint überholt. So wie Jean-Luc Godard einmal sagte: „Ein Film hat ein Anfang, eine Mitte und ein Ende – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“ Der Nouveau Roman und Autoren wie Alain Robbe-Grillet oder Nathalie Sarraute, im deutschen Sprachraum Rolf Dieter Brinkmann oder Peter Weiss haben mit der Vermessung eines neuen Sprachraums begonnen. Derzeit beobachtet man jedoch eine eher rückschrittige Entwicklung, denn die erkundeten Dimensionen der Sprache werden wieder verdrängt. Bekanntlich ist die Form dieses Schreibens nie massentauglich geworden – so wie es auch die Filme von Jean-Luc Godard, die Theorie Wittgensteins und die Poesie von Ingeborg Bachmann nicht massentauglich geworden sind. Aber wir erahnen, dass sich das Unsagbare, welches sich manchmal durch die Zeilen zeigt, zwischen dem Sprechen oder Schreiben und dem Schweigen bewegt. Es deutet etwas an, von dem wir uns nicht sicher sein können, aber das wir doch erahnen. In der Poesie ragt es manchmal aus dem Alltagsgestrüpp heraus und zeigt sich. Dennoch oder gerade deshalb sollte man sich der magischen Ratlosigkeit, die manche Texte erzeugen, nicht entziehen.

Das Unsagbare versuchen in Worte zu bringen ist eine singuläre Gabe, die der Dichter hat. Wenn wir das Unsagbare lesen, müssen wir es zunächst nicht einmal verstehen, wir müssen es nur in uns aufnehmen.

Denn manchmal geht es auch gar nicht darum einen Text vollständig zu verstehen, manchmal ist es auch schon tröstlich einen Text nur auf sich wirken zu lassen, ihn nur einzusaugen und dann sich entfalten zu lassen. Ihn gar nicht verstehen zu wollen. Denn es ist eben so, der Leser muss nicht zaubern können, nur lesen und fühlen – die Zauberei geschieht ganz von selbst. Wir können nicht immer verstehen. Und obwohl wir nicht immer verstehen können, müssen wir uns doch immer für den Versuch offen halten und es wagen das Unsagbare zu kartographieren.

Wir müssen das innere Schweigen so lange aushalten, bis etwas einbricht, das uns vielleicht Aufruhr, vielleicht Frieden bringt – immer aber doch aus der Gleichgültigkeit rettet.


Aufsatz inspiriert von einer Preisfrage geschrieben ("Wenn der Leser nicht zaubern kann... Worin besteht der Reiz und worin liegt der Sinn, schwierige literarische Texte verstehen zu wollen?" Magus Preisfrage 2013)



AM Tekampe 2013 






“intereur/ exterieur”



Three Storeys beneath the Stars


shortstory by Anna Maria Tekampe
translated by Justin Morris


I lie alone at night. I try to invoke the image of your face in my mind’s eye. I try to conjure up your scent, to recall the last words you said to me, when here. Nothing here but emptiness — nothing but a faded semblance behind all those taught web of contempt. I lie alone. You remain absent. You remain shrouded behind a million-strong cabled curtain — poised behind a field of freshly harvested outlets. No sooner have I sensed you, you slip away. You wonder across runways, stride down endless, chilled corridors. Every few days your face appears, illuminated by the lights of some other big metropolis. But you never just drift. All things have their purpose. And now here I lie, anxious not to lose myself, to no longer feel whole — without you. And yet, I recall with what unmatched, insatiable hunger we gnawed at each other, right down to the very bone. How we nourished ourselves on surfeit bygones. But you are yet my Yearning, my Sustenance in this great unjust game. Your desire overwhelms me, now as ever. I ought to be forever close to you; I will be always close to you. You should desire me more and more, so I may see myself mirrored in your longing eyes, so that I may see myself alive and silence all things past. Then I may love you — for always in this little place — for always. This place with only two pairs of eyes and two pairs of hands. All there is, is your half- opened hand, in which mine is placed, only my closed hand in which yours rests; only my eye that believes it has glimpsed yours. Your eye only sunken, deeply, in mine. That gaze of innocence, of eternal flow; it is also with us. And there you are, next to me, asleep, as if you had always been sleeping there. You take my hand and clasp it in yours. You are still there for me alone. We, who should always be there for one another, finite, finally together. The tip of your tongue caresses my front teeth; you lay prone in my arms, childlike, my long-lost child. I peer into your eyes and love your lashes, each of them, and wish to gaze long at you, for as long as it may take for me to sense your pain, and until I understand you through and beyond all past delusions. I carry with me your picture — for which a place is reserved behind my iris. I wish to reminisce about times when I loved you from a distance, when you first appeared in my dreams, and later during the day at the self-same street corner. I wish to recall that enchanting imbroglio. And yet our lips met all too soon. As if barely any time had elapsed, as if you had never vanished behind that million-cabled curtain, those ripe outlets behind which you concealed yourself. As if you had never fled into the dispatch tubes of your house. As if you had never allowed yourself to be posted, raw fleshed, from one place to another, incapable of decision. I rolled myself up into the stripped woodchip wallpaper of our shared home; I lay in that naked room, weeping tears that softened the strips still scattered in an ocean of paste. I would always stare across to the other bank, where you should have stood, to the place I supposed you would be. That place at which I hoped you would be coughed up from the internal mail; that I could build a boat from woodchip wallpaper and fallen pictures with which I could then come and collect you. And then, one day, there you were. I hired the blind ferryman and had him collect you. And now, you are here. Here: Now at my side of the lake, with blue eyes among the multitudes. You stand in the midst of these multitudes, now teetering, almost dancing. I had always thought you would never stand here, right here, at the centre, but offside and with your back turned to the mass, on the bank, and with your gaze turned toward the distance. With eyes for my woodchip wallpaper boat that had come to collect you. Just as I stand with eyes gazing at the woodchip wallpaper, counting each and every chip, observing, infatuated, every nuance. And I see the white space which wraps itself around us. My space. Your space. Not our space. We meet at the centre of this white space, and yet it is still foreign, so foreign that we no longer recognize each other. The undigested light of doubt draws me in, casting shadows in my stomach. Not beautifully whispered, but slightly sunken in the interlaced manner of void data. This is how we stand opposite one another, and I look through your pores, through to the white wall. Everything is empty; no other soul in this space, but you and I. We. You and I; just as it should always have been, as I had always wished it; how I imagined it to be, night after night as I lay there three storeys below the stars. But now that we meet, it is white and empty — your flesh stands directly opposite me; I feel your breath close to my ear, though cannot see you. Peering through the mist, I see the delicate yellow of your Kashmir pullover and I remember. I remember what you wore, and I remember the scent of your smooth cheeks. I remember young hands, mine and yours, the fine veins of your neck, the altered tone of voice when you laugh. I remember those eyes of desire. I remember: I’m mirrored in your eyes, and think to myself, now you will remain with me. But the white space gnaws away — gnawing away at you and at me; and nothing more belongs to us but white air enveloping my pores, your pores dissolving beneath the stars. They’ll vanish if we do not firmly embrace one another. And yet, I see I it coming, we will firmly embrace each other. We are together. You will not leave. You won’t disappear down endless corridors; you won’t board a machine and fly high upwards towards the stars. You remain here with me, peering, besotted, at each woodchip, taking in every nuance of white, and fall into my tender isolation. And I still recall those depths, that desire which fully satiates my body. And yet from a distance your being remains mere projection. Winged, you soar aloft from among the ashes. I’m held from above by a hand pulling on strings. All these threads run together — to you. All your threads run together to me. Our threads are intervined. Love is finally here. We are one.


Ansicht Schauraum momentum 2010



Schauraum ::: Ausstellungsraum
initiert und kuratiert von Anna Tekampe

gefördert vom Kulturamt Karlsruhe








Text zur Ausstellung:  momentum, 09/ 2010


Die fundamentale Entzauberung der modernen Wirklichkeit, so wie sie von Schopenhauer und Nietzsche beschrieben wurde, schlägt sich in einer nicht zu übersehenden melancholischen Grundstimmung unserer heutigen Gesellschaft nieder. Man spricht gar vom Posthumanismus, vom Ende des Menschen und davon dass die Zeit des Menschen bald vorüber wäre, da sich der Mensch zwischen der Decodierung seines Genoms und der Ortlosigkeit seiner unruhigen Existenz langsam auflöse. Wie Michel Foucault es in seiner Schrift „Les Mot et les Choses“ (Die Ordnung der Dinge) prophezeite (...) kann man sehr wohl wetten, dass der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.

Der Mensch ist bereits nahezu verschwunden und taucht nur noch als Spur auf. Gesten und Momente der Erinnerung weisen auf einen abwesenden Menschen hin. In der Ausstellung momentum versammelt x Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen zu einem bildnerischen Essay. Die Videoarbeit La Reprise, eine Fotografie, die eher wie eine altmodische Daguerreotypie als ein Digitaldruck anmutet, eine Raumintervention und einige Notizen werden in anachronistischer Weise gezeigt.

In der Videoarbeit La Reprise tastet die Kamera den scheinbar endlosen Bildraum in einer ewigen Bewegung ab. Es erscheint eine Landschaft, fallende Wassertropfen, bald sieht man eine weite Landschaft, bald ein dunkles Fenster, dann eine Figur, einen Lidschlag. Umgeben von sich ewig wiederholendem Regen, Geflüster und leiser Geigenmusik ist die Zeitung der einzige Hinweis auf Ort und Zeit. Nicht von ungefähr stammt die Musik von John Cage, der sich zeitlebens mit der Zeitlichkeit und den Grenzen von Tönen und deren Wiederholung und Zufälligkeiten auseinandersetzte. Wenn x nun das Stück Cheap Imitation (Violinfassung) 2 aus dem Jahre 1977 ausgewählt, welches nahezu vollständig nur aus einer einzigen Melodielinie besteht, in die zufällige Doppelungen eingebaut sind, so stellt er damit eine Parallele zu der Geste der Erinnerung und Variation her. Die Wahrheit der Erinnerung ist immer fraglich, es bleibt nur das momentum.

Hier zeigt sich eine Verbindung zu den Denkzetteln (L'image est une création pur de l'esprit) aus dem Jahre 1994. Diese Notizen, als Artefakte ausgestellt, zeigen den Ursprung des Gedankens, der in allen Arbeiten in jeweils unterschiedlicher Form Gestalt angenommen hat. Die Mitschrift, ein Fragment aus den Schriften des französischen Lyrikers und Theoretikers Pierre Reverdy behandelt die Annäherungen von bildnerischen Wirklichkeiten und deren Verhältnis zueinander.  

1
Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 1974, S. 462.  

2
The violin version, completed in 1977, was a collaboration with Paul Zukofsky. This transcription is transposed a major third higher than the original (otherwise several notes would be out of range of the instrument) and is identical to it, except for a few passages. (Score (violin version), Edition Peters 66754)  

Text von Anna Maria Tekampe