Anna Tekampe




“ Das unruhige Herz” - cor inquietum 




IN PROGRESS. COMING SOON

...






Wo führt mein Herz mich hin? Kann ich mich auf Dich je verlassen, Herz?



Das Schweigen

Wittgenstein, der bekannteste Sprachphilosoph des vorigen Jahrhunderts versuchte bekanntlich in seinen jahrelangen Studien die Sprache zu verstehen und zu erklären. Schließlich veröffentlichte er den Tractatus Philosophicus. Nicht viele haben das Werk gelesen, doch der letzte Satz hat solch große

Unruhe

gestiftet, dass man sich noch immer lebhaft daran erinnert: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“.

Schweigen. Eine zunächst unmögliche Lösung, ob der dringenden Fragen und ungeklärten Dinge in der Wissenschaft, in der Literatur, auf der Welt. Eine edle Lösung jedoch in Hinblick auf die Wahrheit. Heutzutage auch eine edle Lösung angesichts der endlosen Versuche und Aufmerksamkeitsökonomien der Schriftsteller, die wir heute beobachten können. Jeder meint ein Buch publizieren zu müssen und seine Memoiren und Kindheitstraumata der Welt anbieten zu dürfen. Ein dauerhaftes Rauschen, gar ein Lärmen umhüllt uns zu jeder Zeit. Nicht nur das Auge, auch das Ohr wird dauerhaft gefordert. Das Innere verkommt in diesem Lärm und die inneren Stimmen verkommen im Schweigen. Ein Text, der anspricht und das innere Schweigen zu stören vermag und es zum Sprechen zu bringt, ist eine Seltenheit. Dies erkannte auch Wittgenstein und erfand das Sprachspiel um der rationalen Sprachforschung zu entkommen. Denn wo die Sprachphilosophie scheitert, macht die Poesie, macht die Lyrik weiter. Auch Heidegger besann sich gegen Ende seines Lebens auf die Dichtkunst, besonders Hölderlins Schriften hatten es ihm angetan. Die Hymnen des schwäbischen Dichters schienen ihm das Sein und dessen Fragen am besten darzustellen. Er meinte gar in der Kunst, eben namentlich in der Dichtkunst, die eigentliche Wahrheit des Seins zu sehen. Sprache hat für Heidegger einen absoluten und originären Seinsbezug. Auch die Dichterin Ingeborg Bachmann spricht vom Unsagbaren. Bachmann meint aber wir besäßen die Sprache nicht, nur als Fragment in der Dichtung, in einer Zeile, in einem Satz könne man das Unsagbare erahnen. So ist es die Aufgabe der Lyrik, der Poesie und der vermeintlich schwierigen Texte im Allgemeinen die magische Ratlosigkeit, das Schweigen im Inneren aufzuschrecken und zum Sprechen zu bringen.


Das Unsagbare kartographieren

Die Veränderungen unserer Welt fordern neue Formen des Kartographierens, neue Formen des sprachlichen Ausdrucks. Die strukturierte dramaturgische Form des Anfangs, der Mitte und des Endes scheint überholt. So wie Jean-Luc Godard einmal sagte: „Ein Film hat ein Anfang, eine Mitte und ein Ende – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“ Der Nouveau Roman und Autoren wie Alain Robbe-Grillet oder Nathalie Sarraute, im deutschen Sprachraum etwa Rolf Dieter Brinkmann oder Peter Weiss haben mit der Vermessung eines neuen Sprachraums begonnen. Derzeit beobachtet man jedoch eine eher rückschrittige Entwicklung, denn die erkundeten Dimensionen der Sprache werden wieder verdrängt. Bekanntlich ist die Form dieses Schreibens nie massentauglich geworden – so wie es auch die Filme von Jean-Luc Godard, die Theorie Wittgensteins und die Poesie von Ingeborg Bachmann nicht massentauglich geworden sind. Aber wir erahnen, dass sich das Unsagbare, welches sich manchmal durch die Zeilen zeigt, zwischen dem Sprechen oder Schreiben und dem Schweigen bewegt. Es deutet etwas an, von dem wir uns nicht sicher sein können, aber das wir doch erahnen. In der Poesie ragt es manchmal aus dem Alltagsgestrüpp heraus und zeigt sich. Dennoch oder gerade deshalb sollte man sich der 

magischen Ratlosigkeit,

die manche Texte erzeugen, nicht entziehen. Das Unsagbare versuchen in Worte zu bringen ist eine singuläre Gabe, die der Dichter hat. Wenn wir das Unsagbare lesen, müssen wir es zunächst nicht einmal verstehen (dies würde sogar mehr schaden als helfen), wir müssen es nur in uns aufnehmen. Denn manchmal geht es auch gar nicht darum einen Text vollständig zu verstehen, manchmal ist es viel tröstlicher einen Text nur wirken zu lassen, ihn nur einzusaugen und dann sich entfalten zu lassen. Ihn gar nicht erst verstehen zu wollen. Denn es ist eben so, der Leser muss nicht zaubern können, nur lesen und fühlen – die Zauberei geschieht ganz von selbst. Wir können nicht immer verstehen. Und obwohl wir nicht immer verstehen können, müssen wir uns doch immer für den Versuch offen halten und es wagen das Unsagbare zu kartographieren. 

Wir müssen das innere Schweigen so lange aushalten, bis etwas einbricht, das uns vielleicht Aufruhr, vielleicht Frieden bringt – immer aber doch aus der Gleichgültigkeit rettet.



Aus einem Aufsatz den ich inspiriert von einer Preisfrage geschrieben habe -("Wenn der Leser nicht zaubern kann... Worin besteht der Reiz und worin liegt der Sinn, schwierige literarische Texte verstehen zu wollen?" Magus Preisfrage 2013)