Anna Tekampe




 


Frühe Begriffe der Langeweile im alten Rom: Otium, fastidium vitae, scholé


Otium est pulvinar diaboli
(Muße ist des Teufels Kopfkissen)

                                                                 Lateinisches Sprichwort

Bekanntermaßen kam der Impuls zum Philosophieren ursprünglich aus Griechenland. Und obwohl wir, die uns heutzutage bekannten Schriften der alten Griechen hauptsächlich den römischen Abschriften derselben zu verdanken haben, war die griechische Philosophie in Rom zunächst nicht sehr willkommen. Im Gegenteil trat man ihr und ihren Überbringern eher mit Misstrauen gegenüber und erkannte die Philosophie unter den griechischen Wissenschaften als letztes an. Die Römer hatten bekanntlich eher Sinn für die realen Dinge (res), für Landwirtschaft, Recht und Politik. Das theoretische Schrifttum der Griechen, die “theoria“ war ihnen daher zunächst verdächtig. Sie nahmen an, dass die Beschäftigung damit, die jungen Menschen von den eigentlichen römischen Aufgaben ablenken würde. Cato der Ältere (234-139) war wohl sogar solch ein erbitterter Gegner des Griechischen und seiner Literatur, dass er im Jahre 183 die Verbrennung griechischer Schriften veranlasste. Darüber hinaus wurde griechischen Rhetoren und Philosophen der Aufenthalt in Rom zeitweise durch Senatsbeschluss verboten. Nach 154 verwies man sogar noch zwei Epikureer aus Rom aus. 

So schnell ließ sich das griechische Gedankengut jedoch nicht ausmerzen und es entstand um Scipio dem Jüngeren (185- 129) und seinem Freund Laelius, ein Kreis, der zur Kernzelle der Aneignung der griechischen Bildung wurde. Sowohl der Historiker Polybios (der mit 1000 vornehmen griechischen Geiseln – sie blieben 17 Jahre- nach Rom gekommen war) als auch der Stoiker Panaitios lebten in Scipios Haus. Im Jahre 155 schließlich kam eine akademische Gesandtschaft mit dem Akademiker Karneades, dem Stoiker Diogenes und dem Peripatetiker Kritolaos nach Rom um dort öffentlich zu lehren. Damit war die Jugend der nobilitas- der Oberschicht für die Philosophie gewonnen, und selbst Cato lernte noch im Alter Griechisch. Ab diesem Zeitpunkt war in der Oberschicht die Philosophie Grundlage aller Bildung, Regulativ für das eigene Verhalten und Maßstab für Handeln in Gesellschaft und Staat. Ihr großer Vermittler war bekanntermaßen der Staatsherr Marcus Tullius Cicero[1](106-43). Nach seiner politischen Entmachtung schrieb er in wenigen Jahren seine wesentlichen philosophischen Werke. Damit wollte er – nach eigenen Angaben seinen Mitbürgern auch weiterhin nützen. Da man in Rom einen eher pragmatischen Zugang zur Philosophie hatte, wählte Cicero ganz pragmatisch aus den philosophischen Systemen der Griechen aus, was er als nützlich erachtete. So entstammen seine erkenntnistheoretischen Betrachtungen der jüngeren Akademie, seine Ethik schwankt zwischen der Stoa und den Peripatetikern. Die Philosophie der Ethik- die Lehre vom richtigen Leben- war in diesem Sinne von besonderer Bedeutung. Da die meisten Römer eher von pragmatischen Naturell waren und sich eher für Handel und Eroberung als für Reflexion und Kontemplation interessierten, hatten sie wenig Verständnis für die Erkenntnistheorie und Probleme der Metaphysik. Daher übernahmen und übersetzten sie nur, was ihnen sinnvoll und praktisch verwertbar erschien- und das war die Ethik. L. Annaeaus Seneca ( 4.v.Chr – 65 n.Chr.) der zweite große Vermittler der griechischen Philosophie folgte dagegen in seinen Grundsätzen der Philosophie der Stoa. Diese lag ihm besonders, da sie zum praktischen Handeln  in der Gemeinschaft aufforderte. [2]

Die Belehrung und Predigt zur Besserung des menschlichen Handelns sind die Formen seiner Philosophie. Der Einfluss der Stoa blieb in der Kaiserzeit weiterhin vorherrschend und die ataraxia, die Unerschütterlichkeit bzw. heitere Ruhe wurde zum Symbol stoischer Haltung. Kaiser Marcus Aurelius (121- 180- Kaiser seit 161) [3]verfasste, wie wir wissen,  zwölf Bücher mit stoischen Selbstbetrachtungen (eis heauton) in griechischer Sprache.


Otium (cum dignitae). Ein römisches Äquivalent zur modernen Langeweile!?

Im Folgenden soll nun der Begriff „Otium“, der zu Zeiten Ciceros die Muße bzw. den Müßiggang bezeichnete, näher betrachtet und untersucht werden. Dabei gilt es zu untersuchen, ob es sich dabei um einen Vorläufer oder gar um ein Äquivalent unseres modernen Begriffs der Langweile handelt. Schaut man in einem modernen Lateinwörterbuch nach, so ist die gängige Übersetzung des Begriffs der Langeweile, das zusammengesetzte Wort: „tempora tarde labentia“. Direkt zu übersetzten mit einer Zeit die lang wird bzw. ist.  Der Begriff “Otium” bezeichnet eine etwas andere Stimmung, als es die “tempora tarde labentia” bezeichnete, dennoch möchte ich diese im Folgenden näher untersuchen, da es zu der so genannten „tempora tarde labentia“ keine umfangreichen Schriften gibt und dieser Begriff wohl auch keine weiterreichende Relevanz im alten Rom hatte. Es handelt sich wohl eher um einen zusammengesetzten Begriff, der sich dem heutigen Begriff der Langeweile angleichen könnte.

Die Bedeutung des “Otium” lässt sich am besten über sein Atonym “Negotium” erklären. Otium wird bekanntermaßen mit Muße, Ruhe oder gar Freizeit übersetzt. Der Begriff des Negotiums mit seinem Vorsatz „Neg“ stellt die Verneinung dieses Wortes dar und heißt soviel wie „Unmuße“ oder auch „Nichtmuße“ Damit bezeichneten die Römer Arbeit oder Mühe, ebenso wurde das Engagement in der Gesellschaft mit Negotium bezeichnet.

Etymologisch gesehen stellt Arbeit bei den Römern somit immer eine Unterbrechung der Muße dar. Eine Sichtweise, die für den postmodernen Menschen kaum vorstellbar ist - teilen wir unser Jahr nicht heutzutage in elf Monate Arbeit und einen Monat Freizeit auf und nicht umgekehrt in elf Monate Freizeit und einen Monat der mußeunterbrechenden Arbeit!? Die Römer hätten diesen Umstand wohl eine „perversitas“, eine Verdrehung oder Verkehrung der Tatsachen genannt. Den Römern war das Otium eine geheiligte Zeit und in keiner Weise wurde darin ein verwerflicher Müßiggang oder gar die Vorstufe zu einem sündigen Leben, so wie es später beim Begriff der Acedia der Fall sein sollte. Im Gegenteil, die Zeit der privaten Muße sollte zum Nachdenken über die Grundlagen des richtigen Handelns für die Gemeinschaft, über die Erziehung der Jugend und für eine bessere Gestaltung des römischen Staatenlebens dienen.[5]Otium praktizierte man in der römischen Gesellschaft meist auf dem Land. Hier zog man sich von den Verpflichtungen der Gesellschaft zurück, um sich einer produktive Kontemplation zu widmen. In diesem Sinne wurde Otium nicht als fauler Müßiggang gesehen, sondern sollte im Idealfalle eine Auseinandersetzung mit Literatur, Philosophie oder der Natur beinhalten. Erich Burck weist daraufhin, dass das Otium seinen eigentlichen Stellenwert erst in der römischen Gesellschaft bekam, als Rom im zweiten Jahrhundert vor Christus eine nationalbewusste Geschichtsschreibung und die ersten wissenschaftlichen Bücher erhielt. Zu jener Zeit wandelte sich sowohl das Verhältnis zu den Griechen, als auch die Gestaltung der Muße, des von den Staatsaufgaben und Berufsverpflichtungen freien Otiums. Der Ruhestand eines Arbeiters oder Bauern wurde ebenfalls Otium genannt. In diesem Falle wurde der Zusatz "cum dignitate" hinzugefügt, was soviel bedeutet wie “in Würde ruhen oder auch altern“. Die reifsten Überlegungen zu einem erfüllten Otium finden wir bei Horaz und Cicero. Beide Männer betrieben von ihrer Jugend an griechische Philosophie und versuchten mit Hilfe der von ihr bereitgestellten Grundsätze ihr persönliches Handeln und ihre Stellung in der Gemeinschaft mit immer größerer Bewußtheit zu durchleuchten. Diese Reflexionen über ihr eigenes Tun und namentlich über ihre literarischen Arbeiten hat ihr Otium erfüllt und sehr fruchtbar gemacht. In jener neuen Form der Freizeitgestaltung wichen gewichtige politische Gespräche dem Austausch über allerlei literarische und politische Fragen





[1] Ciceros Einfluss wird im Rückblick erst wieder bei den christlichen Autoren deutlich. So z.B: Aurelius Augustinus (354- 430) der seine „de civitate dei“ nach dem Vorbild Ciceros „de re publica“ verfasste. Über diese Autoren kommt viel vom philosophischen Gedankengut der Römer in die christliche Scholastik hinein.

[2] So schrieb er: “Non est philosophia populare artificium nec ostentatione paratum. Non in verbis, sed in rebus est.” (Philosphie ist kein Handwerk für alle da nicht zum Herzeigen da (...) )